
Mathias Hoffmann – Zahlen, die nicht zählen
Die Stadt tropfte aus allen Löchern. Jedes Fenster spie eine neue Art von alptraumhafter Hitze in die Brühe, die in der Stadt siedete. Der Typ vor mir kochte und pfiff auf dem letzten Loch. Ich wusste gar nicht, warum der sich so aufregte. ICH verlor doch gerade meinen Job.
Ja, ja die Zahlen und diese Statistik zeigten ja, dass die Zahlen nicht stimmten. Unerreichte, spekulative Ziele sollten die Zahlen ausdrücken, doch sie stimmten nicht. Und dass sie nicht stimmten, das war irgendwie meine Schuld. Ich hatte sie nicht beschworen oder orakelt, auch nicht vorgeschoben, doch es stimmte etwas nicht mit ihnen, und das sorgte für eine Menge Aufregung bei dem Typen mir gegenüber. Bei mir nicht. Ich freute mich, dass ich den Zahlen entgehen konnte und grinsend aus seinem Büro verschwand. Er musste noch und würde noch lange wegen der Zahlen und der Hitze schwitzen, wohl würden die Zahlen ihm noch mit ins Grab folgen, weil da einfach was nicht mit ihnen stimmte und nie stimmen würde. Er starb etwas später, weil die Zahlen, die seine Leber ausspuckte, seiner Meinung nach auch nicht stimmen konnten.
Eiskalt lief mir dieses goldene, sonnige, mexikanische Bier die Kehle runter. Und eiskalt ließ ich mir die Zahlen den Buckel runterrutschen.
Dicke, braune Soße versaute die Liege auf dem Balkon gegenüber. Es war eine Nachbarin, die sich in der Sonne entfaltete. Nicht nur ihr Schatten griff nach ihr, sondern auch die Blicke, wie Fliegen, der Nachbarsjungen von der anderen Seite. Angezogen vom Bratensud, bekloppt vom Appetit der Hormone.
Ich hatte mich schnell satt gesehen, nicht, dass etwas mit meinen Hormonen nicht stimmte, doch haben sie Geschmack entwickelt. Vielleicht zu leicht zu sagen, wenn Gott durch den Boden einer Bierflasche aus einem wolkenfreien Himmel in einen hineinschaut. Vielleicht auch nicht, kann auch am Bier liegen.
Hier auf dem Dach schwitzte nicht nur die Dachpappe. So viel war klar. Dennoch wollte ich mich ganz oben fühlen, da ich ja nun so tief gefallen war. Ist ja nicht so, als ob das die erste Statistik ist, deren Zahlen ich auf dem Gewissen hatte. Nur mit der Zeit verbraucht einen das schon ganz schön. Man möchte auch mal Luft holen und ein bisschen zu sich kommen. Mir fiel ein, dass Gott ja auch kein Geld hatte. Dieser Gedanke war tröstlicher und für mich heiterer als jedes Vorurteil.
Nicht mal drei Wochen hatten mir die Zahlen geschenkt, bis sie intrigierten. Das war bitter. Zumal ich in dem Job nur telefonieren sollte, mit Menschen, nicht mit Geld. Das hätte den Zahlen Recht gegeben, doch so lag Verrat in der Luft. Jedenfalls war es so heiß, dass ich aufstehen musste, um eine Taube, sie war an der Dachpappe festgeklebt, zu befreien, nicht so einfach ihre kleinen Füßchen aus dem Morast zu ziehen, dann die Teertropfen abzuputzen und dabei immer wieder ihren feurigen Schwingen und Blicken auszuweichen. Es gelang und sie flog, noch etwas Angstballast abwerfend, davon. Nun war ich also auch noch gefedert und geteert worden. Wann regnete es eigentlich in dieser Stadt?
Ich zapfte meinem Opel etwas Benzin ab, um mir die Hände zu waschen. Das heißt, er gab es freiwillig, denn die Leitung war irgendwo unter der Karosse leck und tropfte willig vor sich hin. Als ich fertig war, rauchte ich siegreich und schnippte die Kippe genau in die Benzinlache unter dem Opel.
Da ging nun alles dahin, lichterloh und ich dampfte schnell ab, bevor ich Zeuge wütender Sirenen werden musste. Leider verbrannte auch mein einziges Gut. Alle Texte und alle damit verbundenen Scherereien. Glaubte bisher keiner an mich als Schriftsteller, wie sollte ich nun beweisen, dass dieser Irrtum dennoch zumindest eine materielle Ursache hatte?
Kreischende Feuerwehrwagen und schreiende Polizeisirenen schleuderten an mir vorbei und ich bog feige in einen Park ein. Die würden mich schon noch früh genug an der Gurgel packen. Es ging einfach zu schnell, so hatte ich es nicht geschafft die Kennzeichen des Opels noch abzuschrauben, während er explodierte. Das würde mir noch früh genug um die Ohren fliegen.
Ich wollte mir noch ein Bier kaufen und griff in meine Hosentasche. Diese Zahlen stimmten, doch sie stimmten leider überhaupt nicht.